Mozart, Wolfgang Amadé (1756–1791)

Allegro in F zu einem Quintett KV Anh. 90 (580b) (1789?)

für Klarinette, Bassetthorn, Violine, Viola und Violoncello (Bruchstück)

Den im doppelten Wortsinn vollendeten Werken von Wolfgang Amadé Mozart (1756–1791) stehen zahlreiche Skizzen und Fragmente nicht zuende gebrachter oder nur teilweise überlieferter Kompositionen aus seiner Feder gegenüber. Wie unvollständige Mosaike, deren Angesicht wir nur erahnen können, lassen uns diese noch vorhandenen, wie aus weiter Ferne zu uns getragenen, in diese Welt hinein kristallisierten musikalischen Gedanken und Ideen in uns den Wunsch nach Vollendung der Werke, denen sie angehörten oder die aus ihnen hätten erwachsen können, reifen und stärker werden. So nimmt es nicht Wunder, daß sich immer wieder Suchende auf die lange Reise nach den fehlenden oder verloren geglaubten Teilen begeben und am Wege liegende Mosaiksteine (wieder-)finden oder neue, vielleicht selbst dem Komponisten verborgen gebliebene, passende Teile – Ideensplittern gleich – entdecken. Je mehr diese im Geiste des Komponisten und der Kenntnis dessen Schaffensart, verbunden mit Feingefühl und Phantasie in der passenden Art und Weise in das noch Vorhandene eingearbeitet werden, damit sie mit diesem eine organische Verbindung eingehen, desto mehr bringen uns diese Mitschöpfer durch ihr Wirken dem Bild eines möglichen Ganzen – wenn auch in einem neuen Sinne – näher und verhelfen so der dem geahnten Werk ursprünglich innewohnenden Idee und ihrer Vollendung zu einer ihrer möglichen Verwirklichungen.

 

Eine dieser uns leider nur fragmentarisch überlieferten Kompositionen ist das Allegro in F-Dur zu einem Quintett für Klarinette in C, Bassetthorn in F, Violine, Viola und Violoncello KV Anh. 90 (580b), möglicherweise im Jahre 1789 in Wien entstanden, wie der 1964 erschienenen 6. Auflage des Köchel-Verzeichnisses zu entnehmen ist. Aufgrund von Papieruntersuchungen des Musikwissenschaftlers Alan Walker Tyson (1926–2000), deren Ergebnisse in den Supplement-Bänden der Neuen Mozart-Ausgabe wie auch im Aufsatz Proposed new dates for many works and fragments written by Mozart from March 1781 to December 1791. (erschienen im vom Mozartexperten Cliff Eisen (geb. 1952) herausgegebenen Buch Mozart Studies., Oxford: Clarendon Press, 1991) dargelegt werden, vermutet Tyson die Entstehung des Quintettsatzes schon im Jahre 1787. Drei vollständig instrumentierte Abschnitte dieses als Eingangssatz konzipierten Stückes, welches mit einem Wiederholungszeichen in Takt 102 endet, befinden sich in den Takten 1–45, 58–65 und 89–102. In der 1958 unter dem Musikwissenschaftler und Mozartexperten Ernst Fritz Schmid (1904–1960) herausgegebenen Neuen Mozart-Ausgabe, deren erster Editionsleiter er von 1954–1960 war, steht am Ende des Bruchstückes vermerkt:

»Hier bricht das Originalmanuskript ab.« (NMA VIII/19/Abt. 2: KV Anh. 90 (580b), Seite 49).

 

Das Autograph der Partitur ist mit Quintetto. überschrieben und befindet sich unter der Signatur Mus. Ms. autogr. W. A. Mozart Anh. 90 in der »Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz«. Philip Wilby (geb. 1949) vermutet in seinem im Clarinet and Saxophone Society of Great Britain Newsletter 5, no. 2 (im April 1980) erschienenen Artikel Mozart’s clarinet fragments K.516c, 580b, 581a, daß Mozart den Klarinetten- und Bassetthornpart eigens für die Brüder Anton Paul Stadler (1753–1812) und Johann Nepomuk Stadler (1755–1804) anläßlich einer Aufführung in Wien mit Antonio Salieri (1750–1825) an der Violine, Mozart an der Viola und einem nicht näher benannten Cellisten vorsah.

 

Mit der Zeit sind eine ganze Reihe von Rekonstruktionen des Quintettsatzes entstanden und so existieren beispielsweise Fassungen von Gerhard Mass, Philip Wilby, Erik George Sebastian Smith (1931–2004), Robert Duncan Druce (1939–2015) und Franz Beyer (1922–2018), dessen wunderbar gelungener Versuch einer Rekonstruktion auch im heutigen Konzert erklingt.

(2018/2019)