»Ein schwärmerisches Aufgeregtsein, bald von melancholischem Hauche angeweht, bald zu jubelnden Freudenklängen sich steigernd – das ist wohl der Charakter vorliegender Phantasiestücke. Es sind deren drei, die zwar in sich abschließen, die aber der Verfasser durch ein attacca in nähere Verbindung gebracht wissen will. Dieses, so wie Manches im Ausbau der einzelnen Sätze, z. B. die vorherrschende Triolenbewegung und die Gleichheit der Ton- und Tactart in allen drei Stücken (sämmtlich in A-Dur 4/4 Tact), consolidirt sie zu einem Ganzen von einer Gleichmäßigkeit der Stimmung, der eine Intention zu Grunde liegt, wie es scheint. Daß diese Uniformität nicht in Monotonie ausartet, versteht sich wohl bei einem Componisten wie Schumann von selbst. Es will uns fast scheinen, als habe er die einmal angeregte Stimmung so recht ausbeuten wollen, als habe er allen nur möglichen psychologischen Momenten innerhalb derselben nachgespürt – und das ist ihm wohlgelungen. Die Mannichfaltigkeit so wie die Freiheit der Ideen ist um so bewundernswerther, als sie sich, wie oben angedeutet, gewissermaßen in einer selbstgesteckten Umgrenzung bewegen. Dazu kommt nun noch die prächtige Art und Weise, wie sich Pianoforte und Clarinette im Aussprechen der Gedanken theilen, wie sie sich einander ergänzen, wie Keines des Anderen absoluter Herr oder Diener wird, und man wird finden, daß Schumann wieder ein Werk geschaffen hat, das sich nicht unwürdig dem vielen Schönen anreiht, das die Kunst ihm verdankt. Hinzufügen wollen wir nun noch schließlich, daß die Ausführenden auf bedeutender Stufe der musikalischen Bildung in jeder Beziehung stehen müssen, um dem Werke gerecht zu werden.«
Diese vom Musikkritiker, Komponisten und Pianisten Eduard Bernsdorf (1825–1901) verfaßten Zeilen finden sich abgedruckt in Nummer 13 der Neue[n] Zeitschrift für Musik vom 12. Februar 1850 auf Seite 59 f.
Im Juli 1849 erschienen in Kassel im Verlag von Carl Luckhardt – welchem Robert Alexander Schumann (1810–1856) am 14. März 1849 die Fantasiestücke für Klavier und Klarinette op. 73 zusammen mit den 1848 komponierten Drei Freiheitsgesängen für Männerchor mit Harmoniemusik WoO 4 angeboten hatte – die Fantasiestücke | für | Pianoforte und Clarinette | (ad libit. Violine od. Violoncell) | von | Robert Schumann. | Op. 73. im Erstdruck. Dieser gilt nach etlichen Korrekturen und Änderungen des Kompositionsmanuskriptes während der Drucklegung auch als Hauptquelle des Werkes. So änderte Schumann auch den noch im Autograph verwendeten Titel Soiréestücke während des Korrekturprozesses in Fantasiestücke um. Mit der Wahl dieses Titels bezog er sich auch schon in seinen Fantasiestücke[n] op. 12 von 1837 auf den von ihm so hochgeschätzten (als Ernst Theodor Wilhelm geborenen) Ernst Theodor Amadeus Hoffmann (1776–1822) und dessen bedeutendem Erstlingswerk Fantasiestücke in Callot’s Manier. Blätter aus dem Tagebuche eines reisenden Enthusiasten., welches in der Zeit von Mai 1814 bis April/Mai 1815 in vier Bänden erschien. Auf die im zweiten und vierten Band abgedruckten Kreisleriana bezieht Schumann sich in seinem 1838 entstandenen Klavierzyklus Kreisleriana op. 16.
1849 – während seiner Zeit in Dresden – begann Schumann Werke für ein Soloinstrument und Klavierbegleitung zu schaffen: eine Gattung, für die er bis dahin noch keine Kompositionen verfaßt hatte. So entstanden in diesem einen Jahr – neben einer bedeutenden Anzahl von Klavier- und Kammermusikwerken, Konzertstücken, sowie Liedern und Chorwerken – auch die Fantasiestücke für Klavier und Klarinette op. 73, Adagio und Allegro op. 70 für Klavier und Horn, die Fünf Stücke im Volkston für Violoncello und Klavier op. 102 und schließlich die Drei Romanzen für Oboe und Klavier op. 94.
Wie in Schumanns Haushaltbuch von ihm vermerkt, entstanden am 11. Februar 1849 »2 Stücke f. P[iano]f[orte] u. Clarinette in A[-Dur]« und tags darauf, am 12. Februar 1849 ein »3tes Stück f. Clar.[inette]«. Laut den Entstehungsvermerken im Autograph – jeweils am Ende jedes der drei Stücke – vollendete er das Eingangsstück allerdings erst am 12. Februar und die anderen beiden Stücke dann am 13. Februar 1849. Für den 18. Februar 1849 ist in seinem Haushaltbuch noch eine Probe mit dem Klarinettisten der Königlichen Kapelle Dresden, Johann Gottlieb Kotte (1797–1857) vermerkt: »Früh Probe d. Clarinettst.[ücke] m.[it] Kotte«.
Schumanns Frau Clara Josephine Schumann geb. Wieck (1819–1896) begleitete ihn am Klavier.
Über das Jahr 1849 äußerte sich Schumann gegenüber dem befreundeten Komponisten, Dirigenten und Musikpädagogen Ferdinand von Hiller (1811–1885) mit folgenden Worten: »Sehr fleißig war ich in dieser ganzen Zeit – mein fruchtbarstes Jahr war es. Als ob die äußern Stürme den Menschen mehr in sein Inneres trieben, so fand ich nur darin ein Gegengewicht gegen das von Außen so furchtbar Hereinbrechende.«
Am 14. Januar 1850 schließlich erfuhren die Fantasiestücke bei einer »Abendunterhaltung« des Leipziger Tonkünstlervereins durch den Klarinettisten Müller und den Pianisten Dentler ihre erste öffentliche Aufführung. Es ist nicht bekannt, inwieweit Schumann an den Fassungen für Violine und Violoncello beteiligt war, aber offensichtlich war er mit diesen einverstanden und hat sie autorisiert. Überliefert ist bezüglich einer Aufführung mit dem Violinvirtuosen und Komponisten Ferdinand Ernst Victor Carl David (1810–1873) folgender Eintrag aus dem Jahre 1852 im Haushaltbuch: »Dienstag d. 9ten März. […] David’s wunderschönes Spiel mit Klara. Sonate (in A) [= op. 105] u. Phantasiestücke.« Bis heute erfreuen sich die Fantasiestücke großer Beliebtheit und erfuhren neben weiteren Ausgaben auch etliche Bearbeitungen.
(2017)