Messiaen, Olivier Eugène Prosper Charles (1908–1992)

Quatuor pour la fin du temps (1940/41)

für Klarinette, Violine, Violoncello und Klavier

daraus:

 

3. Satz: Abîme des oiseaux / Abgrund der Vögel für Klarinette solo

Als Messiaen im Juni 1940 als einer von tausenden französischen Soldaten auf einem Feld in der Nähe von Nancy in deutsche Kriegsgefangenschaft geriet, kam es während des Wartens auf den Abtransport der Soldaten in die schlesischen Lager zu der denkwürdigen Uraufführung eines für den Klarinettisten Henri Akoka (1912–1976) geschriebenen Solostückes, welches im darauffolgenden Jahr als dritter von insgesamt acht Sätzen unter dem Titel Abîme des oiseaux (Abgrund der Vögel) in sein Quatuor pour la fin du temps (Quartett für das Ende der Zeit) einging.

 

Das Quartett entstand in den Jahren 1940 und 1941 und gelangte am 15. Januar 1941 im Stammlager (kurz: Stalag) VIII A in Görlitz-Moys, einem Kriegsgefangenenlager, in welchem Messiaen von 1940 bis 1941 interniert war, in der Theaterbarracke 27 B zur Uraufführung.

Der unter dem Namen Jean Le Boulaire auftretende Geiger Jean Lanier (1913–1999), Henri Akoka an der Klarinette und der Cellist Ètienne Pasquier (1905–1997) wurden von Messiaen am Klavier begleitet, welcher zu seinem von der Offenbarung des Johannes inspirierten Quartett schreibt: »Das Quartett hat acht Sätze. Warum? Sieben ist die vollkommene Zahl, die Schöpfung von sechs Tagen, geheiligt durch den göttlichen Sabbat; dieser siebte Tag dehnt sich aus in die Ewigkeit und wird zum achten des unauslöschlichen Lichts und des unvergänglichen Friedens.« Weiterhin sei dieses Werk »direkt von diesen Versen der Apokalypse inspiriert«.

 

Abîme des oiseaux handelt vom Kreisen der Vögel über dem Abgrund der Zeit, bevor der das Ende der Zeit verkündende Engel der Apokalypse erscheint.

Messiaens legendäre Beschäftigung mit Vogelstimmen, von denen er im Laufe seines Lebens wohl über 700 unterscheiden und zuordnen konnte, findet hier ihren Niederschlag.

Messiaen beschreibt Abgrund der Vögel folgendermaßen: »Klarinetten-Solo. Der Abgrund, das ist die Zeit mit ihrer Traurigkeit und Müdigkeit. Die Vögel sind das Gegenteil der Zeit. Sie sind unser Verlangen nach Licht, nach den Sternen und Regenbögen und nach jubilierenden Stimmen!«

(2015/2018)