Bruch, Max Christian Friedrich (1838–1920)

Kol nidrei op. 47 (1880)

für Violoncello und Klavier

Jom Kippur (»Tag der Sühne«), der höchste jüdische Feiertag, beginnt am Vorabend mit dem Gebet des Kol Nidre (»alle Gelübde«), welches vor Sonnenuntergang gebetet wird.

Bevor der Toraschrank geöffnet wird, spricht die Gemeinde folgenden Vers aus Psalm 97,11: »Ein Licht hat er gesät dem Gerechten und Freude den Aufrechten.« Danach folgt die von dem deutschen Rabbi Meir ben Baruch von Rothenburg (um 1215–1293) im 13. Jahrhundert hinzugefügte, von drei Gemeindemitgliedern rezitierte Formel: »Vor dem himmlischen Gericht und vor dem irdischen Gericht, mit Einverständnis Gottes und mit Einverständnis dieser Gemeinde bestätigen wir, dass es erlaubt ist, (zusammen) mit Übeltätern zu beten.«

 

Das ursprünglich auf Vergebung der Schuld durch Gott angelegte Kol Nidrei wurde im 12. Jahrhundert  auf Veranlassung von Rabbenu Tam so umgewandelt, daß es auch zukünftige Gelübde betrifft.

Danach folgt das Kol Nidrei: »Alle Gelübde, Verbote, Bannsprüche, Umschreibungen und alles was dem gleicht, Strafen und Schwüre, die wir geloben, schwören, als Bann auszusprechen, uns als Verbot auferlegen von diesem Jom Kippur an, bis zum erlösenden nächsten Jom Kippur. Alle bereue ich, alle seien ausgelöst, erlassen, aufgehoben, ungültig und vernichtet, ohne Rechtskraft und ohne Bestand. Unsere Gelübde seien keine Gelübde, unsere Schwüre keine Schwüre.« (Übersetzung aus: Machzor: Gebetbuch für den Versöhnungsabend. Verlag Lehrberger & Co. Frankfurt am Main, 1933)

 

Max Bruch komponierte sein Kol Nidrei im Jahre 1880 für Violoncello, Orchester und Harfe, nach dem er durch den Cellisten Robert Hausmann dazu angeregt wurde, nach seinen erfolgreichen Kompositionen für Violine auch für das Violoncello zu komponieren.

Das Werk besteht aus zwei Abschnitten. Während der erste Teil dem traditionellen Gesang des Kol Nidrei gewidmet ist, gestaltet sich der zweite Teil durch die Verwendung der Hymne Oh! Weep for Those von dem als Lord Byron bekannten George Gordon Noel Byron, 6. Baron Byron (1788–1824) in der Fassung durch Isaac Nathan (1790–1864).

Sein Kol Nidrei verglich Bruch mit seiner in den Jahren 1879/80 entstandenen Fantasie für Violine mit Orchester und Harfe, der sogenannten Schottischen Fantasie Es-Dur, op. 46: »da es wie diese einen gegebenen melodischen Stoff in künstlerischer Weise verarbeitet«.

Mit der Uraufführung war Bruch nicht glücklich, da seiner Ansicht nach »dies Adagio durch ein wahnsinnig langsames Tempo künstlich vom Leben zum Tode gebracht« wurde.

(2015)