Am Ende eines damals alljährlich in der Dresdner Neustadt veranstalteten Stadtteilfestes – der sogenannten »Bunten Republik Neustadt (BRN)« – gab es auf dem zu diesem Zeitpunkt noch nicht neu bebauten Areal des heutigen Julie-Salinger-Weges 2–6 einen großen Flohmarkt. Dieser stand zum Ende des dreitägigen Spektakels am Sonntag auch noch kurz vor 21 Uhr, während sich bereits die auf den eben noch auf den Straßen befindlichen Stände und Aufbauten größtenteils schon wieder in ihre sie verpackenden Gehäuse zurückzogen. Dies hatte zur Folge, daß sich noch zahlreiche der verbliebenen Besucher umschauten, wo sich denn noch etwas interessantes befände und da war ein Flohmarkt wie dieser hochwillkommen, zumal er noch von einigen weiteren Attraktionen und sich dem Abbau standhaft entgegenstellenden Buden umgeben war. Auch ich liebe es, auf Flohmärkten nach dem mir unbekannten Unbekannten Ausschau zu halten. Nach einigem Umherschweifen zog ich aus einer rumpeligen, mit allerlei Zeugs gefüllten und von ebensolchen, doch recht schmuddelig wirkenden Kartons umstellten Pappkiste, ein kleines »Papierkonvolut« hervor. Darin steckte ein schon durch die Gestaltung seines Randbereiches auffälliges und sich ebenso, aber in entgegengesetztem Maße sichtbar beklagenswertem Zustand befindendes, etwas größeres Blatt. Das erweckte mein Interesse, welches sich auch noch steigerte, als ich den Namen des großen Tenors Richard Tauber, welcher sogar mit einem kleinen Portraitfoto darauf zu sehen ist, laß! Ein (etwas unscharfes) Foto von kurz nach dem Moment des Auffindens läßt die Szenerie in etwa deutlich werden:
— Flohmarktkiste vom 15. Juni 2014 —
Vermutlich aus einem sich in alle Winde zefleddernden Nachlaß stammend, hat es besagtes Blatt gemeinsam mit ein paar anderen Dingen in diesen einen von vielen Kartons »geweht«. Mag der unspektakuläre Anblick von mit allerlei zusammengetragenen Gerümpel aufgefüllten Sammelkisten das Antlitz von Märkten dieser Art auch noch so charakteristisch erscheinen lassen, so bleibt selbst dem beiläufigen Betrachter nicht verborgen: All diese zahllosen ramponierten und mitsamt des Inhaltes vor sich hin verwitternden transportablen Abstellkammern simpelster Bauart sind doch nichts anderes, als gestaltgewordene letzte Fermaten vor unzähligen Schlußakkorden des Vergessens. —
Die nicht durch noch so hingebungsvolle Gestaltung aufhaltbaren Spuren der Zeit und letztlich auch des Umganges mit dem hier gefundenen Gedenkblatt lassen sich unverkennbar aus dessen Zustand herauslesen, aber über seine Provenienz schweigt es sich aus. Vielleicht befand es sich ja bei einem jener Unterzeichner … ? Was es aber dennoch preisgibt ist, daß hier ein der großen Kunst des – neben Jan Kiepura und Joseph Schmidt zu den bedeutendsten Tenören seiner Zeit zählenden – Sängers (und Schauspielers!) Richard Tauber verbundener Freundeskreis ein ca. 38,37 × 28,35 cm großes bildnerisches Ständchen gezeichnet und signiert hat.
In der Tradition ausgeschmückter, originell-kunstvoller und originär-persönlicher Einträge, wie man sie durch die Jahrhunderte hinweg in Poesie- und Freundesalben zur Erinnerung gestaltet hat, ist auch dieser innige Gruß gehalten, in welchen sich allerdings ein zwar kleiner, aber irgendwie charmanter Fehler eingeschlichen hat. Als Richard Denemy – mit dem Mädchennamen seiner Mutter im Taufregister eingetragen – wurde Tauber, welcher 1913 den Nachnamen seines Vaters Anton Richard angenommen hatte, am 16. Mai 1891 in Linz geboren und hätte demnach nicht 1952, wie auf dem Gedenkblatt angegeben, sondern bereits ein Jahr früher, 1951, seinen 60. Geburtstag feiern können, wenn es ihm nur vergönnt gewesen wäre.
Als er viel zu früh – mit nur 56 Jahren – am 8. Januar 1948 in London starb, hinterließ dieser Jahrhundertsänger, der übrigens auch Dirigent und Komponist war, ein großes Œuvre an Aufnahmen, die sein Andenken lebendig und die Erinnerung an ihn und seine hohe Kunst aufrechterhalten und weitertragen.
Dresden, den 15. Februar, 9. Juli und 5. Oktober 2024