Milhaud, Darius (1892–1974)

Suite op. 157b (1936)

für Klarinette, Violine und Klavier

1. Ouverture

2. Divertissement

3. Jeu

4. Introduction et Final

1936 schuf der französische Autor und Dramatiker Jean Marie Lucien Pierre Anouilh (1910–1987) sein Schauspiel Le Voyageur sans bagage. Das in 5 Bildern gehaltene und für 12 Darsteller geschriebene Theaterstück wurde am 16. Februar 1937 im 1897 gegründeten Pariser Théâtre des Mathurins von dem französischen Schauspieler, Regisseur und Theaterleiter russisch-armenischer Herkunft Georges Pitoëff (1884–1939), welcher die Leitung des Hauses von 1936 bis 1939 innehatte, auf die Bühne gebracht. Er und seine Frau Ludmilla Pitoëff, geborene Smanov (1895–1951) waren darin als Hauptdarsteller zu sehen.

 

Der Reisende ohne Gepäck ist der Soldat Gaston, welcher nach einer Kriegsverletzung neben all seinen Papieren auch sein Gedächtnis verloren hat und nun, nachdem er in einem Güterbahnhof aufgefunden wurde, sein Leben in einer Heilanstalt verbringt. Ohne das Gepäck seiner Vergangenheit wird er mit dieser aber wieder konfrontiert, als er nach Verlassen der Anstalt mit Hilfe und unter Vermittlung der Gräfin Dupont-Dufort wieder auf seine eigene Familie Renaud trifft und dort nun ihn beunruhigende Details aus seinem Vorleben erfährt. Auf diese Weise spürt er, nach all den Jahren allerdings moralisch gereifter, die Unvereinbarkeit seines früheren Lebens als Charles Renaud im Vergleich zu dem jetzigen Gaston, der er nun geworden ist und der mit dem früheren Charles nur den selben Körper gemein hat.

 

Das gedruckte Werk erschien am 10. April 1937. In der deutschen Übersetzung von Helma Flessa wurde es am 21. Dezember 1937 in Wien am Volkstheater uraufgeführt, die Erstaufführung in Deutschland erfolgte schließlich am 25. Mai 1946 am Münchner Volkstheater. Eine Verfilmung unter der Regie von Anouilh und der Musik von Francis Poulenc (1899–1963) wurde erstmalig am 23. Februar 1944 gezeigt.

 

Für die originale Theaterfassung allerdings schrieb Darius Milhaud (1892–1974) in den Monaten Oktober und November 1936 in Paris die Bühnenmusik, welche er im Folgenden in seiner Suite pour violon, clarinette et piano op. 157b verarbeitete. Erstmalig erklang die Suite am 19. Januar 1937 in einem der Sérénade-Konzerte in Paris, wo es auch im selben Jahr mit der Widmung à M. D. M. überschriebenbeim Verlag Éditions Salabert erschien. Zwei Musiker der Uraufführung des etwa zwölfminütigen Werkes können hier genannt werden: die Geigerin Yvonne Astruc (1889–1980) und der Pianist Jacques Février (1900–1979).

 

Milhaud war ein äußerst vielseitiger und schaffensreicher Komponist, der ab dem siebten Lebensjahr Violinunterricht erhielt, diesen aber 1912 zugunsten des Komponierens aufgab. Kontrapunkt und Komposition studierte er wie auch sein im selben Jahr geborener Zeitgenosse Arthur Honegger (1892–1955) bei André Gedalge (1856–1926), in dessen Klasse sich beide auch kennenlernten. Ebenso wie Honegger war er auch Kompositionsschüler von Charles-Marie Jean Albert Widor (1844–1937) und studierte Dirigieren bei Paul Marie Théodore Vincent d’Indy (1851–1931). Gemeinsam mit Honegger, Georges Auric (1899–1983), Louis Durey (1888–1979), Francis Jean Marcel Poulenc (1899–1963) und Germaine Tailleferre (1892–1983) gehörte Milhaud der »Groupe des Six« bzw. »Les Six« an und war dort an vier gemeinsamen Arbeiten beteiligt. Milhauds umfangreiches Œvre von 443 Kompositionen enthält Orchester- und Bühnenwerke, unter denen sich zahlreiche Sinfonien, Opern und Bühnenmusiken, sowie Vokalwerke, Klavier- und Kammermusik befinden. Milhaud war – neben weiteren Mitgliedschaften – auch Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste in München.

(2018)