Debussy, Achille-Claude (1862–1918)

Petite Suite L. 71 (65) (1888)

für Klavier zu vier Händen

1. En Bateau

2. Cortège

3. Menuet

4. Ballet

Das Autograph der Petite Suite pour Piano à 4 mains mit ihren Sätzen En Bateau, Cortège, Menuet und Ballet von Achille-Claude Debussy (1862–1918) läßt auf eine ursprünglich beabsichtigte Fünfsätzigkeit des Werkes schließen. So wurde die bei Menuet geschriebene »(4)« in »Nound die bei Ballet stehende »(5)« in »No 4« geändert. Ein Hinweis auf das ursprünglich an dritter Stelle stehende oder dafür gedachte Stück kann leider nicht gegeben werden. Nachdem Debussy 1884 mit seiner Kantate L’Enfant prodigue den renommierten Prix de Rome gewann, kehrte er nach dem damit verbundenen Aufenthalt in der Villa Medici allerdings 1887 vorzeitig aus Italien nach Paris zurück. Im Jahr darauf, 1888, komponierte er die Petite Suite.

In The Cambridge Companion to the | Piano | edited by | David Rowland gibt J. Barrie Jones auf Seite 173 den Entstehungszeitraum allerdings mit »1886–9« an. Im Februar 1889 erschien das Werk im Verlag Durand & Schœnewerk in Paris unter dem Titel Petite Suite | pour | Piano à quatre mains | par | Claude Debussy.

 

Am 1. März 1889 spielte Debussy in einem Pariser Salon zusammen mit dem Sohn des Verlegers Marie-Auguste Massacrié-Durand (1830–1909), Jacques Durand (1865–1928) – welcher 1906 auch eine Fassung für Klavier solo veröffentlichte – die Erstaufführung. Als Debussy, diesmal mit Paul Abraham Dukas (1865–1935) am Klavier, die Petite Suite  wenige Monate danach bei einem Besuch der Kompositionsklasse seines früheren Lehrers, dem Komponisten Ernest Guiraud (1837–1892), aufführte, war unter den Zuhörern auch Paul Henri Büsser (1872–1973), welcher dieses Werk sehr geschätzt haben muß und es später auch bearbeiten sollte. So erschien 1907 dessen Orchesterfassung der Petite Suite. Debussy bedankte sich bei ihm für die »geistreiche Orchestrierung«, welche am 4. November 1907 unter der Leitung des Komponisten und Dirigenten Paul Alexandre Camille Chevillard (1859–1923) erstmals erklang. Von Büsser sind auch Fassungen des Werkes sowohl für 2 Klaviere zu 4 Händen (1904) wie auch für 2 Klaviere zu 8 Händen (1910) überliefert.

 

Der belgische Musikwissenschaftler Harry Leopold Halbreich (1931–2016) beschrieb dieses Werk mit folgenden Worten: »Wir haben es mit einer Art choreographischer Suite in vier kurzen Episoden zu tun, als deren Thema man oft die Ballette von Léo Delibes erkannt hat. Doch man denkt auch an Chabrier, ja sogar an Fauré, und eine zarte Erinnerung an Borodin ist bisweilen nicht mehr fern.«

 

Es ist gut möglich, daß Debussy, welcher als Hauptvertreter des musikalischen Impressionismus gilt, sich bei der Namensgebung der einzelnen Sätze – was ihren inneren Zusammenhang und ihre Bildhaftigkeit angeht – auf die Gepflogenheit der Pariser Bürger, ihre Freizeit in den Sommermonaten in den Seine-Vorstädten Asnières und Bougival zu verbringen, bezog. Nach einer Bootsfahrt (En bateau) findet in Cortège (Aufzugsmarsch) und im Menuet eine Rückbesinnung an vergangene Tage statt. Wie etwa an die in den Fête galantes der Rokoko-Malerei dargestellten Szenen erinnert, mögen sich die Ausflügler in eine andere Zeit zurückversetzt gefühlt haben, wenn sie in der Nähe zu Schloß Versailles und herrlicher Natur den Tag mit einem Ballet ausklingen ließen …

 

Die Werknummer L. 71 (65) folgt dem Werkverzeichnis in der von dem französischen Musikwissenschaftler und Bibliothekar François Lesure (1923–2001) verfaßten und 2003 in Paris erschienenen Biographie Claude Debussy. Die eingeklammerte Nummer stammt aus Lesures früherem Verzeichnis, Catalogue de l’œuvre de Claude Debussy, Genf 1977.

Obgleich Debussy viele seiner Werke für Klavier zu 4 Händen bearbeitete, sind zusammen mit der Petite Suite, dem  Marche écossaise (komponiert 1890) und der Six Épigraphes antiques (im Februar 1915 erschienen) nur wenige Originalkompositionen von ihm für diese Besetzung bekannt.

(2017)