Berg, Alban (1885–1935)

Vier Stücke op. 5 (1913)

für Klarinette und Klavier

I.   Mäßig

II.  Sehr langsam

III. Sehr rasch

IV. Langsam

Gemeinsam mit Anton Friedrich Wilhelm von Webern (1883–1945) gehörte Alban Maria Johannes Berg (1885–1935) zu den ersten Schülern von Arnold Schönberg (1874–1951), welcher ihn von Herbst 1904 bis Frühjahr 1911 in Musiktheorie und Komposition unterrichtete. Schönberg äußerte über Berg »daß Musik ihm eine Sprache war und daß er sich in dieser Sprache tatsächlich ausdrückte; und zweitens: Überströmende Wärme des Fühlens […] Es war ein Vergnügen, ihn zu unterrichten«. Als aus dieser sogenannten Schönberg-Schule hervorgegangener Komponist, dessen erste Kompositionsversuche um 1900 erfolgten, wurde Berg gleichsam zu einem der Hauptvertreter des auch Zweite Wiener Schule genannten Komponistenkreises.

 

Das in einem – wahrscheinlich nicht nach dem 13. August 1909 versendeten – Brief an Ferruccio Busoni (1866–1924) geäußerte Bekenntnis Schönbergs »Meine Musik muß kurz sein. Knapp! in zwei Noten: nicht bauen, sondern „ausdrücken“!!« spiegelt sich in dessen aus dem Jahre 1911 stammenden Sechs kleinen Klavierstücken op. 19 wieder, welche Berg als Inspirationsquelle für seine Vier Stücke für Klarinette und Klavier op. 5 gedient haben mögen. Wie Schönberg, merkt auch Berg in seiner Komposition an: »Nach jedem Stück ausgiebige Pause; die Stücke dürfen nicht ineinander übergehen!« Im Frühjahr 1913 fertiggestellt gelangten sie erst sechs Jahre später durch den Klarinettisten der Wiener Volksoper Franz Prem und den Pianisten Eduard Steuermann zur Uraufführung. Es folgten mehrere Aufführungen, unter anderem eine zu Ehren und in Gegenwart Maurice Ravels am 23. Oktober 1920. Dieser setzte sich für das Werk ein und so gelangte es im Juni 1921 zu einer Aufführung in Paris. Da der Zuspruch zu diesen Stücken wuchs, wollte Berg sie veröffentlichen und ließ 200 Exemplare in der Druckerei Waldheim-Eberle mit folgender Widmung drucken: »Diese Stücke sind dem Verein für musikalische Privataufführungen in Wien – wo sie am 17. Oktober 1919 zum erstenmal gespielt wurden – und seinem Gründer und Präsidenten Arnold Schoenberg zugeeignet.« Im Dezember 1920 erschien die Notenausgabe bei Robert Heinrich Lienau (1866–1949) in der Schlesinger’schen Musikhandlung in Berlin. Erfreut über die Resonanz seiner Komposition schreibt Berg 1923 aus Salzburg an seine Frau Helene: »Ein Klarinettist stellte sich mir begeistert vor. Er hatte in Heidelberg und Mannheim die Klarinettenstücke, die fabelhaft für das Instrument seien, gespielt. Nächste Saison in anderen Städten. (Wir werden hier probieren!)«.

 

Der als Theodor Ludwig Wiesengrund geborene Theodor W. Adorno (1903–1969) schreibt – enthalten in Gesammelte Schriften Band 13 – in Die musikalischen Monographien im Kapitel über Berg | Der Meister des kleinsten Übergangs im Abschnitt Klarinettenstücke: »Die Vier Stücke für Klarinette und Klavier op. 5 tragen als erste von Bergs publizierten Kompositionen die Widmung an Arnold Schönberg. […] Von allem, was Berg schrieb, geben sich die Klarinettenstücke am schönbergischesten; daher auch zeigen sie um ein Ideal von Stilreinheit sich bemüht, das Berg sonst eher sacht suspendiert als bekräftigt. Sie sind strikt ›atonal‹; die sonst bei Berg immer wieder einbezogenen tonalen Komplexe fehlen ganz; einmal mahnt ein versprengter Sextakkord, ein übermäßiger Dreiklang oder eine Ganztonskala ans Gewesene, nichts sonst. […] Aus jenem Umschlag der Dynamik in Statik, aus der einstehenden Zeit selber sind die Klarinettenstücke produziert. Sie dauern ein jegliches nur einen Augenblick, wie Schönbergs op. 19 oder Weberns op. 11; aber dieser Augenblick, der keine Entwicklung kennt und keine Zeit, wird gleichwohl in der Zeit entfaltet; das Differenzialprinzip so radikal gehandhabt, daß es die Zeit, in der es waltet und die absolut gemessen doch geräumiger ist als die der korrespondierenden Stücke Schönbergs und Weberns, gleichsam zurücknimmt und als Augenblick erscheinen läßt, während genau umgekehrt Webern, nach Schönbergs Wort, einen Roman in einen Seufzer zusammendrängt. Bergs Wendung wird möglich nur durch die Universalität des kleinsten Übergangs. […] Die paradoxe Statik der Klarinettenstücke kennt kein ›Thema‹ mehr; sie sind, übertreibend gesagt, Musik aus nichts.«

(2016/2017/2019)